Kaum zum Bundeskanzler gewählt, wird Olaf Scholz mit der größten europäischen Krise des 21. Jahrhunderts konfrontiert. Russland hat zahlreiche Soldaten unweit der ukrainischen Grenze zusammengezogen und baut (mindestens) eine Drohkulisse auf. Auch unsere osteuropäischen NATO-Partner sind alarmiert.
Diese Situation würde jede deutsche Regierung in eine problematische Situation bringen. Wir dürfen in unserer Bündnistreue nicht nachlassen, denn die NATO garantiert in der gegenwärtigen Situation den Bestand des Bündnisgebiets. Andererseits liegt ein Ausgleich mit Russland klar im deutschen Interesse. Ein gutes Verhältnis zwischen Deutschland und Russland würde große wirtschaftliche Möglichkeiten eröffnen, es würde ein langfristig stabiles Sicherheitsumfeld in Europa schaffen. Und es gibt meiner Wahrnehmung nach große Übereinstimmungen zwischen unseren Völkern in Bezug auf Kultur, Mentalität und Werte.
Die Bundesregierung steht vor der Aufgabe, heute das Richtige zu tun und dabei das langfristig Mögliche nicht aus dem Blick zu verlieren. Ich halte die Position der Ampelkoalition für richtig. Wir stehen zu unseren Bündnisverpflichtungen und sind solidarisch mit der Ukraine. Gleichzeitig setzen wir uns mit aller Kraft für Frieden und Entspannung ein.
Wenn Russland die Ukraine angreift, muss das Konsequenzen haben. Ich warne aber ausdrücklich vor verbaler Kraftmeierei und einer Dämonisierung Russlands. Ja, die politische Ausrichtung der russischen Regierung gibt zur Besorgnis Anlass. Aber wahr ist auch: Russland ist mehr als Putin. Russland begreift sich als ein Eckpfeiler der europäischen Kultur und hat legitime Sicherheitsinteressen (die allerdings nicht auf Kosten anderer Staaten gehen dürfen).
Russland darf nicht den Eindruck bekommen, dass sozusagen die gesamte westliche Welt gegen das Land eingestellt ist. Dann könnte russische Regierung zu dem Schluss kommen, dass sich ein kooperatives Verhalten definitiv nicht lohnt. Mit ihrer klaren, differenzierten und vermittelnden Position macht sich die Bundesregierung deshalb um den Frieden in Europa verdient.
Am Montag hat Olaf Scholz die deutsche Position in Washington vertreten. Ich finde, er hat das gut gemacht. In der nächsten Woche fliegt Olaf nach Kiew und dann nach Moskau. Ich hoffe, dass seine Bemühungen Erfolge bringen werden und ein stabiles Sicherheitsumfeld geschaffen werden kann, so dass wir wieder Vertrauen aufbauen können.